archiv-2005

Im eigenen Körper eingeschlossen ...

Über die Arbeit des Reha-Hauses Buchholz in Schleswig-Holstein

Sie kann hören und sehen und denken. Aber sie kann ihren Körper nicht bewegen, weder Arme noch Beine. Eingeschlossen in ihrem Körper - Locked In. Nur ein Augenlid funktioniert noch - die einzige Möglichkeit, mit anderen zu kommunizieren. Am einfachsten sind Fragen, die Anna* mit "Ja" oder "Nein" beantworten kann, Auge auf, Auge zu. Bei anderen Fragen muss eine geduldige Pflegekraft laut die Buchstaben aufsagen, bis das Augenlid herunterklappt, dann der nächste Buchstabe des Wortes.

Seit dem Jahr 2000 lebt Anna im Reha-Haus Buchholz in der Nähe des Nord-Ostsee-Kanals. Eine Hirnblutung hatte alle Funktionen ihres Körpers bis auf die Tätigkeit des Großhirns außer Kraft gesetzt. Jetzt ist sie gerade einmal 40 und es gibt kaum noch Hoffnung auf Besserung. Ihr einziges Vergnügen: das Fernsehen. Umso wichtiger ist für sie jede zwischenmenschliche Beziehung, zu ihrer Mutter, die sie regelmäßig besucht, zu den Pflegekräften und Therapeuten der Spezialeinrichtung.

Anna ist die einzige Bewohnerin des Reha-Hauses, die an dem seltenen Locked-In-Syndrom leidet. Andere sind mit den Folgen eines Schlaganfalls, eines Verkehrsunfalls oder nach einem Arbeitsunfall aufgenommen worden. Aber eines haben sie alle gemein: Sie leiden unter einer mehr oder minder schweren Schädel-Hirnverletzung, deren Heilung sehr lange dauert oder gar unheilbar ist.

Ziel des Spezial-Heimes, in dem nur Bewohner mit einer entsprechenden Pflegestufe versorgt und therapiert werden, ist es, Menschen mit Schädigungen des Gehirns ein Zuhause zu geben. Nicht immer kann trotz aller Bemühungen das Hauptziel, die Rückkehr in die eigene Wohnung, erreicht werden. In diesem Fall bemühen sich die Pflegekräfte und anderen Mitarbeiter, den Bewohnern ein dauerhaftes und menschenwürdiges Daheim zu bieten.

Zurzeit kann das Reha-Haus Buchholz bis zu 29 Pflegebedürftige aufnehmen. Das Haus ist im Gegensatz zu vielen anderen Einrichtungen in der Lage, auch Schwerstbetroffene aufzunehmen, die spezieller Behandlungen bedürfen, also etwa Beatmungspatienten, Patienten im Wachkoma oder Patienten mit einer Trachealkanüle.

Sie müssen vom Team rund um die Uhr betreut werden. Und das bedeutet weit mehr als Essen bringen, Säubern und Betten machen. Individuelle Hilfestellungen durch das Pflegepersonal, aber auch Physiotherapie, Ergotherapie, Logopädie, Musiktherapie und sogar eine Hippotherapie - also "hoch zu Ross" - werden angeboten. Die medizinische Versorgung ist zudem durch Vertragsärzte und die Kliniken in der Region sicher gestellt.

Zum Reha-Haus gehören mehrere Gebäude; in drei Häusern sind die Zimmer bzw. Appartements der Bewohner, die je nach Schweregrad ihrer Erkrankung und Pflegebedürftigkeit entsprechend untergebracht werden können. Verschiedene Funktionsräume, vom Stanger-Bad bis zur Trainingswerkstatt, ergänzen das räumliche Angebot. Eingebettet ist die Einrichtung in eine reizvolle Landschaft in der Nähe des Luftkurortes Burg, unweit vom Kanal, von der Elbe und der Nordsee.

Doch wichtiger als Gebäude und Umgebung ist die menschliche Zuwendung, die die Bewohner durch das Pflege- und Therapeuten-Team erfahren. Ausgehend von der Philosophie, dass jeder noch so kranke und behinderte Mensch eine eigenständige Persönlichkeit mit Intimsphäre, Ängsten und Wünschen ist, begegnen ihm die Pflegekräfte mit menschlicher Wärme und Zuneigung. Und er wird angehalten, seinen persönlichen Gestaltungsspielraum zu nutzen und im Rahmen seiner Möglichkeiten an der Genesung selbst mitzuwirken. "Wir haben dafür eigens ein Beziehungspflegemodell entwickelt, in dessen Mittelpunkt eine Bezugsperson für den Bewohner, dessen Angehörige, aber auch für die Therapeuten steht", erläutert Heim- und Pflegedienstleiterin Inge Schmidt das Konzept. Diese "Pflegemanagerin" sorge sich in jeder Hinsicht um das Wohl ihres Patienten. Schmidt weiter: "Sie stellt den Pflegeplan auf, sorgt für die Einhaltung der verordneten Therapien, hilft in allen kleinen oder großen Krisen - und kümmert sich um die Nachfragen der Besucher."

Wie notwendig die Arbeit der Mitarbeiter des Reha-Hauses Buchholz ist, lässt sich durch Zahlen belegen. So erleiden nach Angaben der Kölner Universitätsklinik in jedem Jahr allein in Deutschland etwa 200.000 Menschen ein Schädel-Hirntrauma. Davon sind 40.000 schwer betroffen und müssen wegen dauerhafter Beeinträchtigung ihrer Befindlichkeit - von Sprach- oder Bewegungsstörungen und Lähmungszuständen bis hin zu komatösen Dauerzuständen - behandelt und gepflegt werden. Im schlimmsten Fall leiden die Patienten unter einem Apallischen Durchgangssyndrom (Wachkoma) und müssen rund um die Uhr überwacht und versorgt werden. Damit, so die Uniklinik weiter, stelle das Schädel-Hirntrauma ein relevantes medizinisches aber auch gesundheitspolitisches Problem dar.

* Name geändert

PRESSEMITTEILUNG (FEATURE) VOM 20. JANUAR 2004